Erblickte man Pam, so dachte man unwillkürlich an das „All-American-grrrrl“. Sie war gertenschlank, sportlich, mit mehr als gürtellangen hellblonden Haaren, ein echter Traum für jeden Mann. Dazu war sie von so überschäumender Quirligkeit und Herzlichkeit, dass man sich ihrer Ausstrahlung nicht entziehen konnte. Nach einer ersten Ehe mit Sam, der sie übel verprügelt hatte, hatte sie mit Joe ihr Glück gefunden: Ein Investmentbroker aus Iowa, erfahren in allen Finanzdingen (was ihrem leicht chaotischen Wesen entgegenkam), dazu allerdings stramm konservativ und eher rechts von der Mitte der Republikanischen Partei zu verorten. Das hieß: klare, meist repressive, gesellschaftliche Regeln, strikte Befolgung amerikanischer Family Values und fest umrissene Vorstellungen von den Aufgaben einer amerikanischen Ehefrau: Eine Art partnerschaftlicher Assistentin, auf Zuruf reagierend, dazu für die Kinder ein „role model“, um die Fortführung seiner konservativen und evangelikal angehauchten Werte in der nächsten Generation zu sichern. Pam war glücklich mit ihm. Er gab ihr Halt, behandelte sie liebevoll, war großzügig und ermöglichte ihr ein Leben, das sie alleine niemals hinbekommen hätte. Stets unbestritten war dabei, wer am Steuer saß.
An der US-Gesellschaft hat mich oft erstaunt, mit welcher Willfährigkeit konservative Frauen dieses Verhältnis von Über- und Unterordnung hinnahmen. Nicht selten kompensierten sie es mit einem besonders strengen Regiment zuhause. – Merke: wer eiserne Regeln befolgen muss, erfindet eigene und gibt sie nach unten weiter, und zwar nicht nur in den USA. Auch im deutschen BGB steht immerhin in §1353 BGB: „Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet.“ Nun mag man fragen: Naja, was denn sonst? Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn im „Palandt“, dem BGB-Kommentar, herausgegeben von einem Ex-Nazi-Juristen, der seit 1933 Parteimitglied war, stand, es sei „Sache des Mannes, das Recht zu wahren“. Kein wirklich deutscher Mann wird diesem Unsinn zu widersprechen wagen. Jedenfalls also zitierte der Kommentar verschiedene Reichsgerichts- und BGH-Entscheidungen, nach denen die ehelichen Verpflichtungen vorwiegend für die Frau definiert wurden. Dazu gehörte auch „der Vollzug des geschlechtlichen Verkehrs… und zwar in Liebe, und nicht in offen zur Schau getragenem Widerwillen“. Legalisierte Vergewaltigung also, mit dem Rechtsanspruch, dafür auch noch „geliebt“ zu werden. Was ja nichts anderes bedeuten konnte als restlose Unterwerfung und die Installation eines einseitigen Benutzungsverhältnisses. – – – Übrigens war das einer der Gründe, warum ich nach dem Examen keinen juristischen Beruf mehr ergreifen wollte.
Nun ist es halt so: Wenn du
unterdrückt wirst, kommt es häufig zur sogenannten „Reaktionsbildung“. Du
verkehrst ein Gefühl, vor dessen Wahrnehmung Du Angst hast, in sein Gegenteil,
denn damit kommst Du besser klar. Anders lässt sich laut Alexander und
Margarete Mitscherlich („Die Unfähigkeit zu trauern“) auch nicht erklären,
warum so viele Deutsche einem Willkür-Tyrannen á la Hitler so hysterisch
zujubelten. In der Psychoanalyse ist es bekannt als „Idealisierung des
Aggressors“: Das Gegenteil wäre immerhin tödlich gewesen. Die so verdrängte
Aggression allerdings löst sich nicht auf, sondern verschiebt sich auf ein
Objekt, wo sie gefahrlos ausgelebt werden kann. Von Juden über Schwule bis zu
Freimaurern oder Intellektuellen, – Jede/r war dafür recht. Die daraus
resultierenden Untaten wirken bis heute nach und prägen gerade in diesen
gefährlichen Zeiten einen großen Teil deutscher Politik.
Pam schien es nicht anders zu gehen, denn bei einem längeren Aufenthalt auf Joe´s
Farm fragte ich mich mehr als einmal, ob ihre stete Heiterkeit nicht auch etwas
Aufgesetztes hatte. Dies umso mehr, als sie jedes Mal schnell in sich zusammensank,
sobald Joe´s Stimme sich auch nur leicht ins Strenge verfärbte. Die Autoritären
stabilisieren sich über Abhängigkeiten. Entgleiten ihnen diese, kommt ihr Ego
beträchtlich ins Wanken. Die so Beherrschten allerdings stauen eine Menge Groll
in sich auf, der sich irgendwann nicht mehr verdrängen lässt, und dann rumst
es.
So erging es auch Pam. Joe hatte mit ihr zusammen eine „hunting shack“, also
eine Jagdhütte, in Minnesota gepachtet, nicht weit vom Lake Minnewaska. Wie in
Minnesota oft der Fall, gab es neben der bescheidenen Jagdhütte mit rund 300 qm
Wohnfläche einen wunderschönen See, den jemand vor drei bis vier Generationen
künstlich angelegt hatte. Minnesota hat ungefähr 20.000 davon. An einer
abgelegenen Stelle hatte Joe sich direkt am Wasser einen schilfbedeckten
Jagdstand eingerichtet, der sich nicht nur hervorragend zur Entenjagd eignete,
sondern auch zum Meditieren, solange keine Enten kamen. Um diese oder andere
Wasservögel anzuziehen, hatte Joe zwölf täuschend echt aussehende Plastikenten
auf dem Wasser ausgelegt, sogenannte „decoys“. Als er wieder einmal ansaß, tat
sich absolut nichts, und er langweilte sich zu Tode: „Got so bored I started
counting the decoys.“, sagte er in seiner trockenen Art. „They were thirteen.“ Pam
und ich kugelten uns vor Vergnügen. „Took my gun and shot the life one. Tasted
good.”
Jedenfalls, als ich einmal mit ihr auf Joe´s
privatem Schießstand eine Pause einlegte, zog sie mich feixend auf eine
handgezimmerte Bank, reichte mir eine Dose Coke und stieß mich mit dem
Ellenbogen an. „Now that we´re alone, I gotta tell you something!“ Ich grinste erwartungsfroh.
Im Jahr zuvor hatte Joe sie wieder
vergattert, mit ihm in die „hunting shack“ zu kommen, obwohl sie zwar gerne
schoss, aber nicht gerne jagte. Also lud Joe sein Quad auf den Pickup, Pam
packte Vorräte ein und sie rollten die 540 Meilen über den Highway. Dort
angekommen, konnte Joe es kaum erwarten, nahm seine Schrotflinte, eine Packung
12er Schrot und freute sich auf das anstehende Jagderlebnis. Pam, obwohl nicht
gerade motiviert, durfte bzw. musste mit, und so saßen sie auf dem
schilfbedeckten Jagdstand mitten im mannshohen Schilf und warteten. Pam wollte
die Wartezeit für ihr fröhliches Geplapper nutzen, wurde aber knallhart
zurechtgewiesen: „You sit here, you don´t talk. You hear me? You don´t talk! Whatever
happens: You-don´t-talk!”
Pam fügte sich, den christlichen Werten ihres
Gatten folgend, der sie noch einmal ermahnte: „You don´t talk. Be absolutely
silent!“
Pam war eine folgsame Frau, und außerdem liebte sie ihren Joe und hätte es sich
nicht verziehen, ihm die erwarteten Wasservögel leichtfertig von der Flinte zu
treiben.
Die schienen ihre Gedanken endlich erhört zu haben, denn schon nach einer
knappen Stunde verkniffenen Schweigens näherten sich zwei große Wildgänse in
ordentlicher Höhe, und augenblicklich riss Joe die Schrotflinte hoch. Ein
Schuss knallte, schon ließ die erste Gans – wie gesagt ein Prachtstück – direkt
über ihm die Flügel hängen und bewegte sich zügig abwärts. Joe allerdings war
entschlossen, auch die zweite von ihnen vom Himmel zu holen.
„I watched
the first bird and I worried. It seemed to go for Joe, but he was so
concentrated to get the other one. I didn´t dare to speak up.” Mir schwante
Furchtbares. “And I really wondered should I warn him, but I knew how angry he
can get, if you talk to him at the wrong moment. But
that damn bird kept coming closer!” – Man beachte, dass die Sache sich offenbar
im Zeitlupentempo ereignete; eine Wahrnehmung, der ich in Gefahrensituationen
auf meinen Arktisexpeditionen nicht gerade selten begegnete. Der Vogel
jedenfalls schien selbst im Tod noch zum Äußersten entschlossen. Denn noch
während Pam mit sich rang zwischen ehelicher Fürsorgepflicht und ehelicher
Schweigepflicht, hielt er eisern seine Richtung. Nur Joe zielte immer noch auf
den zweiten Vogel.
„Maaan, it was like a Jumbo jet had
lost an engine! I´ve never seen anything like that before!”, strahlte sie mich an. US-citizens gelten ja allgemein als recht begeisterungsfähig.
Bekanntlich errechnet die Kraft F sich nach der Newton´schen Formel “F = m mal
a“, wobei „m“ die Masse des einschlagenden Körpers ist und „a“ seine
Beschleunigung. In diesem Falle also die Erdbeschleunigung, die von der
Wissenschaft im Mittel mit 9,81 Meter pro Sekundenquadrat angegeben wird. Das
Gewicht der Gans, das von der Police mit 4,5 kg amtlich festgestellt wurde,
ergab also einen Wert von 44,5 mkg / pro Sekundenquadrat. Auch die von Pam
sofort herbeigerufenen Sanitäter zeigten sich von den Ereignissen sehr
beeindruckt.
Joe, der schon nach wenigen Minuten
wieder aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, fragte als Erstes nach der zweiten
Gans, die er aber wegen des parallel zur Schussabgabe erfolgten Gans-Einschlags
verfehlt hatte. Schon nach einer Woche Klinikaufenthalts hatten seine
Gehirnerschütterung und seine schwere Brustquetschung sich so weit gegeben,
dass Pam ihn abholen durfte. Vor seinem Abtransport hatte er sie wütend gefragt:
„Why the f…ing hell ya didn´t tell me?“ Pam verwies darauf, dass sie stets
bemüht war, die von ihm erlassenen Anordnungen gestreng zu befolgen. Man könnte
durchaus sagen – und dies ist bei autoritären Charakteren nicht selten – , es
hätte ihn fast den Kopf gekostet, aber wenigstens blieben die Prinzipien
gewahrt.
Die Beziehung veränderte sich daraufhin, und Joe nahm die nach wie vor
widerstrebende Pam nun jedes Mal mit nach Minnesota, allerdings nur unter der
Bedingung, dass sie ihn im Falle herabfallender Vögel oder Flugzeugmotoren
unverzüglich laut zu warnen habe. Dies tat sie dreimal unter vorgeschobenem
Anlass, denn weibliche Rache hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Dann fragte Joe
sie, ob sie etwas dagegen habe, wenn er alleine gehe. Zur Sicherheit machte sie
ihm eine kleine Szene, bevor sie nach einigen Minuten wohlüberlegt
zustimmte. Noch oft brachte Joe frisch
geschossenes Geflügel mit und blieb trotz der Abwesenheit seiner Warnerin
unverletzt.
Er schoss aber nur noch einzelne Vögel und ließ sie nicht aus den Augen, bevor
sie den Boden oder die Wasseroberfläche erreicht hatten. Autoritäre Menschen
sind durchaus lernfähig, wenngleich stets nur innerhalb ihres nach außen
hermetisch abgeschlossenen Systems.
Als wir fertig waren mit Lachen, kam Joe um die Ecke und fragte: „What´s so
funny?“
„Bernd told me a dirty joke.“, lachte Pam, und ich erntete einen strafenden
Blick des Gatten. Kurz darauf fuhren wir nach Minnesota zur Entenjagd. Beide
überlebten wir.