Über Job und Ethik.

„Hast du kapiert, was der jetzt wollte?“
„Tja.“
„Der lässt uns hundertfünfzig Kilometer fahren, dann labert er uns volle zwei Stunden zu, ohne dass man weiß, worum´s geht, und jetzt fahren wir wieder hundertfünfzig Kilometer zurück?“
„So isses.“
„Sagenhaft! Voll vertaner Nachmittag!“

Ich war nicht ganz so ratlos wie Dieter, – solche Vögel wie Dr. Hanreiter (Namen geändert) kannte ich schon. Hanreiter war seit kurzem Produktmanager bei einem Pharma-Unternehmen, das wir seit Jahren erfolgreich betreuten. Am Telefon hatte er mir gesagt, wir müssten uns wegen einer geplanten Veranstaltungsserie „unbedingt sehen“. Die Zusammenarbeit mit dem bisherigen Team war stets sehr angenehm gewesen, bis er in die Firma kam und mit unübersehbarem Machtwillen gleich mal alles an sich riss. Eine nölige Figur, an die man nicht herankam, und die Kommunikation offenbar als Vernebelungsmittel betrachtete, um ihre tatsächlichen Absichten zu verhüllen. Ein Gesprächspartner jedenfalls, in dessen Gesellschaft man sich instinktiv unwohl fühlte, da es ihm erkennbar nur darum ging, sein Gegenüber zu unterwerfen. Zwei Stunden lang waren wir so gut wie nicht zu Wort gekommen, während er mit demonstrativ gelangweilter Stimme halb doziert, halb bramarbasiert hatte und uns dann wieder gute Rückfahrt wünschte.

„Was wollte der jetzt wirklich von uns?“
„Cash.“, sagte ich. „Er hat uns seine Macht gezeigt und uns deutlich gemacht, dass er uns nach Belieben an der Nase herumführen kann, weil ohne ihn nichts läuft. Anders kann ich mir´s nicht erklären.“
„Du meinst, er will…?“
„… bestochen werden, ja.“
„Ich fass´ es nicht. – Und? Machst du´s?“
„Schon aus Prinzip nicht.“
Wieso Prinzip?“
„Ich mach mich nicht erpressbar durch Typen, die ich verachte. So eine skrupellose Figur hängt dir alles Mögliche an, wenn er die eigene Haut retten muss, und dann bist du fällig, egal ob schuldig oder nicht.“

Wie Recht ich haben sollte, ergab sich ein Jahr später, als Dr. Hanreiter über Nacht nicht mehr in der Firma war. Das alte Team, mit dem wir zuvor so gut zusammengearbeitet hatten, wirkte sehr erleichtert, und da nichts so geschwätzig ist wie so ein großer Laden, erfuhr ich schon bald wesentlich mehr: Hanreiter hatte eine andere Agentur mit dem Projekt betraut und in die Kalkulation jeder einzelnen Veranstaltung eine beträchtliche Provision für sich selbst einrechnen lassen, bar ohne Beleg natürlich. Der Einkaufschef des Unternehmens allerdings, ein mit allen Wassern gewaschener alter Hase, war der Sache auf die Spur gekommen und damit zum Unternehmenschef gegangen. Hanreiter musste noch am selben Tag das Unternehmen verlassen. Die Agentur bekam Hausverbot und Schadensersatzklagen und meldete ein halbes Jahr später Insolvenz an. So weit, so gut, möchte man meinen.

Das Interessante allerdings war, dass ausgerechnet der Unternehmenschef sich für Hanreiter bei einem neuen Unternehmen verwendete.
„Möchte nicht wissen, was er mit dem für ne Leiche im Keller hat!“, sagte mir einer der Produktmanager. „Muss man sich ja mal vorstellen: Der betuppt uns dreist um Tausende, und der Firmeninhaber verschafft ihm aus Dank dafür ne neue Position bei nem angesehenen Unternehmen! Womit hat er den in der Hand gehabt?“
„Das wird er uns nicht erzählen.“, grinste ich. „Aber so einer kommt weit, wie man sieht.“

Erst mal nicht. Denn nach anderthalb Jahren flog er auch bei der neuen Firma, – ebenfalls, weil er mit der gleichen Masche die Hand aufgehalten hatte.
„Nuja, von dem nimmt niemand mehr ´n Stück Brot.“, sagte mir der Produktmanager voller Genugtuung. „In unserer Branche ist der mausetot.“
„Zu wünschen wäre es.“, runzelte ich die Stirn, aber ich kannte auch die Branche.

Drei Jahre später akquirierte ich bei einem neuen Unternehmen im pfälzischen Raum. Es war ein angenehmes Gespräch mit dem dortigen Produktmanager namens Spitz, und ich hatte ja eine ganze Reihe Pharma-Firmen auf meiner Referenzliste.
„Ach, für die haben Sie auch gearbeitet?“, fragte er interessiert. „Mit wem hatten Sie da zu tun?“
„Das wechselte immer wieder mal, wir haben ja mehrere Produktbereiche betreut.“
Spitz nannte ein paar Namen, die ich als bekannt abnickte.
„Außerdem war da noch ein Dr. Hanreiter.“, erwähnte ich beiläufig. „Eher ne seltsame Figur. Weiß kein Mensch, wo der abgeblieben ist.“
„Ich schon.“, sagte Spitz. „Das ist seit kurzem mein Chef.“
Ich mühte mich echt um Fassung. „Der ist…?“
„… unser Geschäftsbereichsleiter, ja.“

Als ich mich verabschieden wollte, ließ Spitz mich nicht los. „Also, wenn Sie den kennen, dann bring ich Sie auch zu ihm!“
„Ich… öhm….“
Hanreiter sprang auf, als hätte jemand einen Korb voller Klapperschlangen in sein Büro gekippt, als Spitz mich in sein Büro schob: „Gucken Sie mal, wen ich Ihnen hier bringe!“
„Ich freue mich sehr, Sie zu sehen, aber ich habe jetzt leider überhaupt keine Zeit, ich bin gerade auf dem Sprung zu einem wichtigen…“
„Schon gut.“, antwortete ich erleichtert. „Wir sehen uns ein ander Mal.“
„Aber un-be-dingt! Wir müssen uns un-be-dingt einmal sehen!“
„Klaro.“, antwortete ich. Überflüssig zu erwähnen, dass ich bei der Firma niemals ins Geschäft kam.

Ein Jahr später traf ich Spitz auf einer Veranstaltung. „Schon gehört, dass Dr. Hanreiter jetzt in die deutsche Geschäftsführung aufgestiegen ist?“ – Hatte ich den Branchendiensten entnommen, ja. Zwei Jahre später wechselte er zu einem weiteren Unternehmen als Europachef und ging in die Konzernzentrale im Ausland.

Wer heute an die Autoindustrie denkt und an ihre seltsamen Versuche sich aus dem Offensichtlichen herauszuwinden, der sollte sich ein paar Gedanken machen über die Aufstiegskriterien unserer Wirtschaft. Und er sollte im Blick haben, dass der pathologische Narzissmus der sogenannten Überflieger den wirtschaftlichen und persönlichen Absturz nahezu zwangsläufig programmiert. Es kommen allzu oft die falschen Leute nach oben. Offensichtliche Charaktermängel imponieren eine Zeit lang wegen ihrer Kälte und scheinbar unbeschwerten Erfolgsorientierung. Betroffen von deren Auswirkungen sind in der Regel Unbeteiligte – seien es Patienten oder Autofahrer. Die letzten fünfzehn Jahre unserer Wirtschaftsgeschichte jedenfalls zeigen, dass es so nicht funktioniert. Die Unternehmer des Jahres sind nur allzu oft die Untersuchungshäftlinge des Folgejahres.

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