Über Führung und Größen-Selbst.

Die Grandseigneurs sterben aus: die honorigen Chefs mittelständischer oder auch größerer Familienunternehmen, die sich zu allererst einmal in der Pflicht sahen, Ihren Mitarbeitern in persönlicher Haltung und Integrität als authentisches Vorbild voranzugehen. Was sie wohltuend unterschied von den Selbstdarstellern, die in ihrer Karriereplanung über Leichen gehen, Unternehmensinteressen vortäuschen und doch nur die eigenen im Sinn haben, und die sich dazu bemühen, ihre menschlichen Defizite zu kaschieren, indem sie sich „soft skills“ als angelernte Techniken zueignen. Denn auch diese dienen nicht der Entwicklung persönlicher Statur, sondern im Zweifel der taktischen Überwältigung des Gesprächsteilnehmers. Die Hoffnung der Mitarbeiter auf eine bessere Zukunft besteht meist darin, dass diese „guns for hire“ niemals allzu lange im Unternehmen bleiben und unentwegt die Finger spielen lassen, um nur ja keine Karrierechance zu verpassen.

Dr. Konrad Henkel hingegen war für mich eine positive Identifikationsfigur, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Henkel KGaA in Düsseldorf. Ein eher wortkarger Mann mit einem großen Herzen, dessen kurze Statements hochpräzise waren, stets auf die Sache fokussiert und frei von jeglicher Eitelkeit. Ich hatte viele, sehr persönliche Gespräche mit ihm und halte ihn bis heute für die beeindruckendste Unternehmerpersönlichkeit, der ich begegnet bin. – Vielleicht neben John Dillingham, einem Rinderbaron in Kansas City, dessen Vater Jay seinen Viehhandel zu einem Multimillionen-Unternehmen aufgebaut hatte: Von seinem Büro im neunten Stock wies er voller Stolz auf die uralten corrals, in denen sich früher die Rinderherden sammelten, nachdem die Cowboys sie von der west coast herübergetrieben hatten. Bis zu siebzig Prozent der Wirtschaftsleistung von Kansas City wurden damals hier erbracht. Und natürlich denke ich auch an Helmut Sihler, der Konrad Henkel 1980 als Vorstandsvorsitzender folgte: ein Urgestein von Manager, der 2002 die Deutsche Telekom aus der Kacke ziehen musste, in die der grandiose Ron Sommer sie gefahren hatte.

Nicht, dass solche Menschen über keinen Machtinstinkt verfügten und nicht notfalls brutale Entscheidungen treffen und durchsetzen würden: Gerade einem Sihler hätte ich nicht unbedingt in die Quere kommen wollen. Doch taten sie es für das Unternehmen und nicht für sich selbst, und unter wohltuendem Verzicht auf die Inszenierung eigener Machtfülle. – Nun ja, Macht hat man nicht zu haben, sondern zu handhaben. Genau das grenzt den guten Manager ab vom chicen Manager. Oder anders gesagt: Der Eine dient, der Andere inszeniert sein „Größen-Selbst“.

Der Ausdruck entstammt der Lehre zu den Persönlichkeitsstörungen und bezeichnet die prägenden Merkmale der narzisstischen Störung: Phantasien eigener Grandiosität und Überlegenheit; Erfolgsräusche, die mit der Realität nichts zu tun haben; permanente Suche nach Bestätigung, die nicht selten zu Freund-Feind-Denken degeneriert; unablässiges Klein-Machen anderer, um die eigene Grandiositätsvision nicht zu gefährden; schnelle Kränkbarkeit, verbunden mit heftigen Abstürzen und Leere-Gefühlen; und ganz generell die Überzeugung, dass die gesamte Welt einem zu dienen habe, da man ihr ohnehin weit überlegen sei und sie nichts anderes verdiene. Nicht selten kommen dann ganze Serien von Ungeheuerlichkeiten ans Licht, sobald die Betreffenden die Firma verlassen haben. – Dass solch krankhafte Visionen von sich selbst gerade im letzten Lebensdrittel „verheerende Auswirkungen“ zeigen (so der US-Psychoanalytiker Otto Kernberg), lässt sich an Persönlichkeiten der Geschichte leicht demonstrieren: Von Napoleon bis Gaddafi, von Louis XIV. bis Saddam Hussein, von Wilhelm II.  über einen Herrn mit Schnauzbart bis zu Helmut Kohl. – Die Liste ist endlos, dazugelernt wird so gut wie nie.

Ich entsinne mich an einen Grandseigneur alter Schule, dessen mittelständische Metallwarenfabrik ich als Agenturchef Jahre lang sehr erfolgreich betreute. Ein Mann großer Integrität, auf dessen Wort unbedingt Verlass war, und der sich Vertrauen sicherte, indem er Vertrauen schenkte. Als führender Vertreter seines Berufsverbandes genoss er hohes Ansehen aufgrund seines bescheidenen, ehrlichen Auftretens. Und wenn er sein Unternehmen auf einer Messe vertrat, dann trug er ganz altmodisch einen Cut. Das war nicht nur Marotte, sondern auch Botschaft: So wollte er verstanden werden.

Altersbedingt schied er aus der Geschäftsführung aus und übergab diese, wenn auch ohne viel Zuversicht, an seinen Neffen, da der Gesellschaftsvertrag dies so verlangte. – Eine seltsam quallige kleine Figur mit zynisch verkniffenem Mund, peilenden Augen und lauerndem Auftreten. Der Mann war mir früher kaum aufgefallen, ein unscheinbarer Typ, eher ein Wasserträger als ein Chef über fünfhundert Mitarbeiter. Er hatte sehr unsicher auf mich gewirkt. Umso frappierender die Veränderung, die sich nun mit ihm vollzog.

Als erstes begann er, obwohl Familienvater, eine Affäre mit einer Mitarbeiterin, was seinen Onkel zu einer Reihe bissigster Kommentare mir gegenüber motivierte. Als nächstes stellte er den von seinem Vorgänger begonnen Bau der neuen Firmenzentrale fertig, allerdings mit einer wesentlichen Veränderung: Das Obergeschoss, gut zweihundert Quadratmeter, sollte nicht für Firmenzwecke verwendet werden, sondern für wechselnde Kunstausstellungen, wobei uns zur Aufgabe gemacht wurde, ihn selbst PR-mäßig als großen lokalen Kunstmäzen aufzubauen. Ich fragte mich, wie hier die betriebliche Kalkulation für den Millionenbau aussah. Die erste Künstlerin, die der Neffe dann an Land gezogen hatte, erwies sich als peinlich schwafelnder Missgriff. Zusätzlich stellte er eine Marketingleiterin ein, deren Geschäftsgebaren mich nach wenigen Monaten veranlasste, die langjährige Zusammenarbeit zu beenden. Zu deren Abschluss organisierten wir auf Wunsch des Neffen noch eine Kundenumfrage, als deren Ergebnis unsere Werbekampagne bei den Kunden deutlich besser dastand als das Unternehmen selbst. – Das gefiel ihm gar nicht, spiegelte aber die Realität wider.

Unübersehbar erlag hier ein von seinen Anlagen her eher mittelmäßiger Typus stetig mehr seinen Macht- und Größenphantasien, und auch aus anderen Quellen vernahm ich Klagen, dass statt der bisherigen fairen Partnerschaft nunmehr die Geschäftspartner nach allen Regeln der Kunst auf die Knie gezwungen und zu weisungsgebundenen „Zulieferern“ denaturiert werden sollten. Es sah aus, als würde das Unternehmensinteresse zum Vehikel persönlicher Macht- und Rachebedürfnisse, die rational nicht mehr erklärbar waren: „Jetzt endlich zeige ich es euch!“ Da schien jemand früher sehr unter Missachtung gelitten zu haben. – Um es kurz zu machen: Wie nicht anders zu erwarten stürzte der Laden ab und ging ein paar Jahre später in eine Millionen-Insolvenz. Sie blieb dem Vorgänger erspart, da dieser inzwischen verstorben war.

Wie also geht man mit solchen Menschen um? Nach meiner Überzeugung am besten gar nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Ich erinnere mich an den Marketingleiter eines Pharma-Unternehmens, für das wir tätig waren. Obwohl unsere Anzeigenmotive im Pretest Aufmerksamkeits- und Glaubwürdigkeitswerte von 90-100% erbracht hatten – also Traumwerte -, versäumte er keine Möglichkeit, uns ordentlich einzuseifen und uns viel kleiner zu machen, als er selbst sich vorkam. Als meine Mitarbeiter mich fragten, was wir denn falsch machten, und was wir besser machen könnten, um ihn endlich zufrieden zu stellen, war meine Antwort klar: Gar nichts, denn der Herr ist Narziss, der braucht sowas. Ein Jahr später wurde er unter Bestechungsvorwürfen festgenommen, der ganze Laden durchsucht und dann von den Headquarters der Firma aufgegeben und an einem anderen Ort neu aufgebaut, mit neuen Leuten selbstredend.

„Die Ursache dieser narzisstischen Verhaltensweisen wird in einer frühen Störung der Selbst-Entwicklung gesehen.“, schreibt H.H. Studt von der Medizinischen Klinik und Poliklinik in Berlin. „Dadurch bleibt das infantile Selbstbild erhalten und verwandelt sich zum pathologischen Größen-Selbst.“ Und wer so groß ist, der fällt auch tief.

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