„Sie können doch Hypnose! Können Sie uns nicht ein paar Tricks beibringen, damit wir die Jungs endlich im Griff haben?“
„Soll ich Ihnen dreihundert Außendienstler hypnotisieren oder was?“
„Öhmmm… naja… hmmff… wenn das möglich wäre…?“
„Und dann?“
„… sollen die … öhmmm… endlich Ruhe… geben. Oder so.“
Man buchte ein anderthalbtägiges Coaching für ein dreiköpfiges Marketingteam. Drei richtig patente, gute Typen in den Dreißigern. Zwei Männer und ein Bild von einer Frau. Man konnte sich kaum vorstellen, dass man mit denen Krach kriegen konnte.
Es war nur so: Jedes Mal bei der quartalsweisen Tagung mit ihren dreihundert Außendienstlern flog ihnen schon nach zwanzig Minuten die Versammlung um die Ohren. Und zwar so prächtig, dass die Geschäftsführung ihnen in der vergangenen Woche eine auf den Hut gegeben hatte. Es brannte lichterloh, vielversprechende Managerkarrieren waren kurz davor, in den vielzitierten Bach zu plumpsen. Angst war spürbar, bereits beim gemeinsamen Abendessen kurz nach meiner Ankunft.
Glaubte man den deprimierten Schilderungen, war der Feind dumm, dreist, laut und gemein, dreihundertköpfig, und für die Präsentation des jeweils neuesten Marketingkonzepts in keinster Weise zugänglich. Er sollte kleingehalten oder, noch besser, dauerhaft erledigt werden. Möglichst so, dass er nie wieder aufstand. Und ich sollte die psychologischen Tricks dazu liefern: also Techniken, deren Zweck Überrumpelung und eine Art von Massenkastration waren. – Sie nannten es: „Konfliktmanagement“. Eine Art von psychologischem Kampfsporttraining demnach. Tritte anbringen, nach denen der Gegner liegen bleibt. Selbstverständlich im Unternehmensinteresse.
Es ist keine Seltenheit, dass Konfliktparteien sich einen Berater als eine Art Trainer vorstellen, der sie so stark macht, dass sie den Feind einfach zertrampeln können. Darin liegt eine Art magischer Omnipotenzphantasie, – aber auch eine Riesenmenge Angst: der Gegner führt mich vor und macht mich klein. Er will nicht so, wie ich will, und er zeigt mir und allen anderen, dass ich nicht alles kann, sondern schlicht ein Mensch mit seinen Grenzen bin. Da diese Situation als zutiefst entwertend empfunden wird, generiert sie bisweilen Hass, der bis zu Vernichtungsphantasien reicht. – Ob die Vernichtung des Außendienstes das Unternehmen befrieden wird? Lassen wir´s mal offen.
Klar jedenfalls, dass die Enttäuschung riesig ist: Man arbeitet wochenlang an seiner Marketingstrategie, stellt sie vor und bekommt nach fünfzehn Minuten eine auf den Deckel.
„Ich versteh die nicht.“, sagt die Dame des Trios, eine hochintelligente Frau mit messerscharfem Verstand. „Die wollen ständig nur gelobt werden!“ Genervt zustimmendes Nicken der beiden Herren.
„Mhm“, sage ich, „und was wollen Sie?“
Betretene Mienen, Schweigen. „Naja… bisschen mehr Anerkennung für…“
„Also auch gelobt werden?“ – Man windet sich.
„Beide Seiten wollen also Anerkennung vom jeweils anderen, und beide verweigern sich´s?“
„So hab ich das noch nie gesehen.“, sagt einer.
Ich bringe diese Geschichte deshalb, weil sie so prototypisch ist: Da sitzen drei Top-Leute ganze Nächte lang, um tolle Vorschläge auszuarbeiten, die das Unternehmen weiterbringen sollen. Ich möchte den sehen, der sich dann nicht insgeheim wünscht, dafür auch richtig rauschenden Applaus zu bekommen. – Und nun passiert´s: die Außendienstler sind die Frontleute, die´s nachher umsetzen müssen. Sie leben mit dem Gefühl, dass „die da oben“ sich über ihren Kopf hinweg mal wieder was ausdenken, was weit an der Praxis vorbeigeht. Und sie wollen endlich gehört werden, aber keiner hört zu. Zusätzlich sind sie durch die letzten fehlgeschlagenen Meetings vorbelastet und aufgebracht. Sie bringen also ihre Einwände, und sofort setzt die Spirale sich in Gang: die ebenfalls verunsicherten Manager ziehen sich beim ersten kritischen Ton zusammen und nehmen eine Defensivhaltung ein: sie wehren ab, anstatt das Gesagte erst einmal anzunehmen. Die Außendienstler haben – wieder einmal – das Gefühl, gegen Wände zu reden: „Die halten uns doch für blöd!“ Die Explosion folgt auf dem Fuß.
Und der Geschäftsbereichsleiter betreibt seine Art von Konfliktmanagement: Er faltet hinterher die drei Manager zusammen.
Am nächsten Tag sprechen wir ganz offen über die persönlichen Schwächen der Drei: Der eine hat Angst vor Kontrollverlust und will managen, was nicht mehr zu managen ist; der Zweite ist ein grundsympathischer Sunnyboy, , der unbedingt angenommen werden will und nun verstört darauf reagiert, wie man ihm seine offene Art „vergilt“; und die Dame ist aufgrund frühkindlicher Erfahrungen schnell kränkbar. Ihr Selbstwertgefühl kollabiert, wenn man ihre Leistung in Frage stellt, denn nur über diese kann sie sich definieren: Sie ist nie um ihrer selbst willen geliebt worden. – Will sagen: In jedem Konflikt bringen ALLE Beteiligten ihre persönliche Geschichte und ihre persönliche Sicht auf die Welt mit.
Die nächsten Stunden sind Knochenarbeit: In mehreren Rollenspielen simulieren wir die Situation. Ich bin der Außendienst, agiere richtig mies, haue unter den Gürtel, was geht, und schon nach Minuten brüllen wir uns gegenseitig an. Gesichter werden bleich, Finger zittern, Augen werden feucht. Dann analysieren wir das Geschehene, und plötzlich erkennt Jeder seinen sogenannten „Eigenanteil“, mit dem er unbewusst den Konflikt ansteuert. Persönliches bricht auf, Tränen fließen. Pause. Unbedingt frische Luft.
Hier sieht man, wie wichtig Vertrauen ist: Ein Klient muss die absolute Sicherheit haben, dass er persönlichste Dinge berichten kann, die niemals den Raum verlassen werden. (Ich habe schon Personalleitern eins auf die Nase gegeben, die allen Ernstes einen schriftlichen Bericht über ein Coaching von mir wollten.) Und man sieht, wie wichtig Gefühle sind, die in aller Regel nie ausgesprochen werden und gerade deshalb umso aktiver wirken. Nichts schlimmer, als wenn der Konflikt sich auf eine formal-intellektuelle Ebene zurückzieht, wo Argumente wirkungslos hin- und herfliegen, weil die dahinter stehenden Gefühlsbedürfnisse ignoriert werden. Und die heißen nun mal: Wertschätzung, Anerkennung und – ja, tatsächlich! – Liebe.
Die Strategie ist also einfach und wirkungsvoll: Den Kritiker nicht als Feind sehen, sondern als Bereicherung. Ihn nicht abwürgen, sondern seine Gedanken loben und ihn bitten, mehr dazu zu sagen. Ihn zum Beispiel fragen, ob er dazu ein-zwei Seiten Papier ausarbeiten könnte. Und ihm vor allen anderen danken. – Wenn er jetzt aggressiv wird, ist er isoliert. Wir spielen die Situation mehrmals durch, kommen immer wieder an den Punkt, wo das Ganze ins Defensiv-Abwehrende kippt. Die eingeübten Reflexe sitzen tief. Aber schließlich klappt es, und ich verabschiede mich von drei begeistert leuchtenden Klienten.
Anerkennung ist was Schönes. Am Montag nach der Tagung habe ich nacheinander alle Drei in der Leitung: „Es war sagenhaft… So toll war es noch nie! … Ohne Sie wären wir untergegangen!“ Kein Wort mehr von Hypnosetricks. Keine Allmachtsphantasien mehr, um die eigene Hilflosigkeit zu kompensieren. Und – noch viel wichtiger: kein Triumph über den Gegner, sondern Freude über das gemeinsam Erreichte! Fazit: Einen Konflikt rein zu „managen“ ist eine fromme Illusion, die die Konfliktentladung bestenfalls verschiebt. Denn wer über technische Tricks manipuliert wird, wird sich irgendwann wehren. Die Bereitschaft hingegen, eigene Haltungen selbstkritisch zu reflektieren und sich selbst zu verändern, ist die wirksamere Strategie. Wer nicht bereit ist, Gegner zu sein, sondern Partner, kann schwerlich zum Feind werden und braucht auch nicht „ausgeschaltet“ zu werden. Allerdings, der Weg setzt nicht „Know-How“ voraus, sondern persönliche Statur. Die aber muss man von Führungspersönlichkeiten erwarten können.