Freilassen und niederschiessen. (2005)

Tragischer kann es kaum gehen: Was heute mit der italienischen Journalistin Giuliana Sgrena passierte, würde jedem Drehbuchautor um die Ohren gehauen, würde er es wagen, einem Sender solch ein Plot vorzulegen. – Aus der Hölle in die Hölle. Der berühmte Ausdruck vom „friendly fire“ fand seine aktualisierte Anwendung. – Ganz so friendly war´s irgendwie doch nicht, – not even among friends. Gut vorstellbar, dass diese Art von Befreiung für die Befreite zum lebenslangen Trauma wird.

Verständlich – und dennoch nicht zu verstehen – dass die internationale Medienmaschinerie sich jetzt nach altvertrautem Strickmuster in Bewegung setzt. Die Richtung der Bewegung scheint dabei unerheblich zu sein, sie ist vorgegeben durch die vermuteten Leser- und Zuschauerbedürfnisse. Mit heißer Nadel newsfertig getickert, bietet das irakisch-italienisch-amerikanische Drama eine hervorragend sendefähige Mischung aus einer mutigen Frau, einem heldenhaften Geheimdienstmann, ein paar nervenschwachen soldatischen Jungfüchsen und einem grauslig-blutigen Finale, das bekanntlich niemand wollte. Von so was kann man nur träumen als Chef vom Dienst in einer Redaktion. – Schon bequem für uns: Wann hat man schon mal das Privileg, Betroffenheit so unerreicht gemeinsam auszuleben? Die Worthülsen von den „most tragical events“ rattern blechern durch die Offsetmaschinen der offiziellen Pressestellen. Innerhalb von Stunden werden sie die Medienpositionen besetzen. – So fest, dass der Ausdruck „collateral damage“ gar nicht erst in Erscheinung treten kann. Unsere eigenen Leute sind schließlich nicht „collateral“. Sowas sind nur Iraker.

Was uns in Aufruhr versetzt, ist banaler Alltag: Es werden mal kurz ein paar niedergeknallt.  Dieses Mal versehentlich Europäer und nicht irgendwelche Araber, bei denen der unnatürliche Tod bekanntlich zum immanenten Lebensentwurf gehört. Anders ist das plötzliche Entsetzen nicht richtig zu erklären. Oder?

Mir scheint, die Panne, die wir zu Gesicht bekommen haben, ist größer als die, die uns berichtet wurde: Sie hat den Vorhang kurz gelüftet, hinter dem Iraker ungesehen sterben. Sie hat gezeigt, wie schnell geschossen wird. Sie lässt uns ahnen, wie die Befreier mit ihren lieben Befreiten umgehen. Und niemand wird glauben, dass nicht schon Hunderte liegen geblieben sind. Unbeteiligte, Alte, Kinder, – aber eben keine Westler. Not worth mentioning. Abu Ghraib kann man juristisch abarbeiten, die vielen Zufallsopfer nicht. Sie sind im Zweifel selber schuld, weil sie sich missverständlich verhalten haben.

Wo solche Tragödien auf solche Weise sichtbar werden, ist billiges Moralisieren unangebracht. Den Finger anklagend auf die Amerikaner zu recken, die im Irak den undankbarsten aller Jobs erledigen, das mag manch Einem genüsslich runtergehen. Mir nicht. Vielleicht wird man uns in ein paar Tagen einen kleinlauten Zwanzigjährigen präsentieren, der in die Kameras sagt: „I only followed my orders!“ Irrsinn. Und das Schlimme: Irrsinn, der nicht zu vermeiden ist. Wie sagte mir einmal ein Mitglied des deutschen Generalstabs voller Stolz: „Krieg ist eine auf wissenschaftlichen Prinzipien beruhende, freie schöpferische Tätigkeit.“ Er sagte wirklich „schöpferisch“: Der Spruch stammt von Clausewitz, glaube ich.

Es ist ein paar Jahre her, dass ich bei einem Bonner Diplomatendinner einen US-Journalisten kennen lernte, der für seine Reportagen aus dem Vietnamkrieg den Pulitzerpreis erhalten hatte.  Von ihm hörte ich zum ersten Mal den Ausdruck „a war gone sour“. Er war ein sehr interessanter Mann, der spannend erzählen konnte. Die ersten beiden Stunden lang. Danach war er so zugesoffen,  dass er Gläser umschmiss, sein weißes Hemd vollsabberte und schließlich seiner Begleiterin auf den zweifellos teuren Rock kotzte. – Wir werden warten dürfen, was uns die Irak-Korrespondenten, die heute noch nicht frei reden dürfen, in einigen Jahren auskotzen. – Und Trotzdem: So happy to have you back, Signora Sgrena!

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