Ein paar Gedanken zum Mord an Dr. Lübcke.

Nun also hat er einen Platz gefunden, wo er nach Herzenslust hassen kann: Stephan Ernst bekam soeben seine lebenslängliche Haftstrafe. – Gut so! Ein mieseres Verbrechen kann es in unseren Breiten ja kaum geben, auch wenn diese Kreise selbstverliebt davon träumen, ganze Legionen zur Schlachtbank zu führen, um das „Unwerte“ vom „Anständigen“ (!) zu trennen. Der Täter, tränenreich im Meer seines Selbstmitleids, kann mit anschließender Sicherheitsverwahrung rechnen. Indiz nicht nur für seine Gefährlichkeit, sondern auch für die Wirrnis seiner von Entwertung triefenden Gedankenwelt.

Man sehe mir nach, dass ich mich echauffiere: Ich bin in einem Haushalt glühender Nazis aufgewachsen und kenne die an menschlicher Niedrigkeit nicht zu überbietenden Sprüche: Dass der Staat sich „heutzutag´ ja nix mehr traut“; dass wir endlich mal einen bräuchten, „der mal wieder g´scheit aufräumt!“; und nicht zuletzt: „Wenn ICH was zu sagen hätt´, dann wären die alle weg!“ – Sprich: KZ Dachau oder besser „Gleich den Kopf runter! Gar net erst lang den Prozess machen!“ Begründet wird dies, man merke wohl, mit glühender Vaterlandsliebe. Wer diese nicht teilt, war und ist auch heute noch „Vaadalandzvarräda!“

Der Wunsch auszurotten, egal wie sie sich maskieren mögen, dominiert am Ende alles bei diesen Figuren, die sich auf einschlägigen Treffen und in einschlägigen Medien die Richtigkeit ihres Wahns und die eigene Auserwähltheit bestätigen. „Ihr seid die Elite!“, das sagte man auch zur Waffen-SS, bevor man sie in Osteuropa von der Kette ließ. Ein Freund meines Vaters war so einer. Gemeinsam schwärmten sie von den schönen alten Zeiten, wo ein Tscheche noch vor Angst zitterte, wenn man als Deutscher an ihm vorbeiging, und beklagten, dass man sie heute doch glatt als Verbrecher bezeichne! Wo der deutsche Soldat doch so „Hervorragendes geleistet“ habe. – Der Schmerz darüber eint noch heute die Rechten, denn er bedeutet die Entwertung ihrer zum Heldentum hochstilisierten niedersten Instinkte. Manche beginnen zu weinen, wenn sie davon berichten, noch nie habe ein Land seine in den Krieg gezogenen „Söhne“ (Thema Vater, Familie!) nach dem Krieg „mit solcher Undankbarkeit“ (Thema Entwertung, Unterlegenheit!) behandelt. Mit tödlicher Konsequenz also bezeichnen sie diejenigen als Verbrecher, die für die Werte unseres Grundgesetzes einstehen. – So viel zum Thema Projektion!

Henryk Broder, als er noch ernst zu nehmen war, veröffentlichte einst sein brillantes Buch „Der ewige Antisemit“, in dem er letztlich genauso ratlos vor dieser Brühe aus Gewalt und Niedertracht stand wie alle anderen Zivilisierten. Zugang zu einigen dieser Hirnwindungen fand ich ausgerechnet bei einem Amerikaner, mit dem ich gerade durch Kansas Richtung Wichita fuhr. Ein großzügiger, gastfreundlicher und sympathischer Mann mit einem großen Herzen. Aus dem Nichts heraus explodierte er während unserer Fahrt in ein Chaos von Wut: Der Krieg sei nun mal Hölle, und wenn darin Kinder verbrannten (projizierte Kindheitsängste?), dann sei dies halt grausam, doch unvermeidbar. „Die da drüben“ würden das Geld Amerikas nehmen und es ansonsten bespucken (Thema Selbstwert, Entwertung). Aber auch Amerika habe seinen Stolz und sei das beste Land auf der Welt (wobei eine Vielzahl der US-Bürger gar kein anderes Land kennt), und es endete in einem trotzig-wütenden „I love my country!“ – Ich war so entsetzt, dass ich für längere Zeit verstört den Schnabel hielt. Kein Wunder, dass er glühender Trump-Anhänger war und den ganzen Verschwörungsquatsch vom ersten Tag an mit Feuereifer übernahm. Denn das ist bei allen rechten Fanatikern (und nicht nur diesen) unverzichtbar: Sie müssen mindestens glühen, brennen, sich verzehren, sich aufopfern, etc. – Nur so werden sie zur „Speerspitze“ in dieser schrägen Religion, die den projizierten „Nihilismus“ anderer mit Werte-Nihilismus bekämpft, und nur so gewinnen sie vermeintlichen Eigenwert. Wie schrieb Alfred Adler: „Religion ist der Verzicht auf die Leistungen des menschlichen Verstandes zugunsten der Heiligung des Symbolhaften.“ – Die Fahne hoch, kann man da nur sagen: ein Fetzen Tuch ist allemal heiliger als ein Stück Gehirn, es sei denn, man kann es über die Terrasse verstreuen.

Und hier treffen sich die Psychen aller Rechten und sonstigen Fanatiker: Sie tragen erstens einen riesigen Groll mit sich herum, der von ihrem Gefühl und ihrem Denken restlos Besitz ergriffen hat. – Er hat nichts zu tun mit Politik, sondern entstammt sehr frühen kindlichen Entwertungserlebnissen, z.B. durch seelische Vernachlässigung, übermäßige Kontrolle oder häusliche Gewalt. Da solche Menschen Gefühle und Zusammenhänge nicht reflektieren und somit auch nicht verarbeiten können, sucht der Groll sich einen Auslass, indem er sich angsterzeugenden Themen zuwendet. Jedoch bleibt er untrennbar verbunden mit einer eigenartig weinerlichen Form von Wehleidigkeit: Ich war immer Opfer, und heute bin ich es schon wieder! – So steigert sich der Groll in einer hermetisch abgedichteten Welt. Gauland lässt grüßen.

Als  Zweites können wir allüberall eine Vision des totalen „Untergangs“ beobachten: Ob es das „Reich“ ist, die „westliche Zivilisation“, der „American way of life“ oder eben auch das „Reich Allahs“, – man könnte sagen: Wenn´s nicht kaputt geht, taugt es nichts. Und man denkt unwillkürlich an Freuds Satz, dass wir Menschen in dieses Leben hineingeworfen seien, ohne Fangseile, ohne Boden, ohne schützenden Gott, und dass wir uns eben darin zu bewähren hätten. Banaler gesagt: Da laufen Leute herum mit riesigen Ängsten und projizieren sie nach außen: ICH fühle mich dem Leben in seiner Vielfalt nicht gewachsen, ICH sehne mich nach einfachem Schwarz-Weiß, um meine tiefe innere Unsicherheit wenigstens irgendwie aufzufangen. Und alles, was mir diese Sicherheit bestreitet, das mache ich putt, putt, putt. – So erklärt sich auch, wie die innere Bedrohung eines geringen Selbstwertgefühls nach außen projiziert wird: die Linken sind´s, die „Demokröten“, die Flüchtlinge, die Muslime, die Juden ohnehin. Stets wird der Hass legitimiert durch Unterstellungen. So verspeist bekanntlich „das Weltjudentum“ ermordete Kleinkinder zum Frühstück. Lecker, lecker, – und doch eine Widerspiegelung der eigenen kindlichen Angst und Hilflosigkeit: Dem Leben ausgeliefert sein, Schmerz zugefügt bekommen, zur reinen Sache entwertet werden und die niemals stabil entwickelte eigene Identität verlieren. – Der BGH in Strafsachen: „Aufessen ist die intensivste Form der Zueignung.“ – Ich verschwinde restlos in einem fremden Ich, denn natürlich habe ich mich mit dem verspeisten Kind identifiziert: Das bin ja ich! Genauso hilflos stehe ich vor der Buntheit der Welt!

Zu schlechter Letzt als Drittes: Wer als Extremist erst einmal in dieser Gefühlsbrühe existiert bzw. vegetiert, dem bleiben nur noch wenige Auswege: Therapie wäre eigentlich angesagt, in der garantiert eine überdominante und oft gewalttätige Vaterfigur bzw. Vaterersatz eine Rolle spielen, sowie ein ungeheurer Zorn über das eigene Zu-kurz-gekommen-sein. (Ich erinnere mich gut an die kindliche Liebe der alten Braunen für die Vaterfigur Hitler. Schräger geht´s ja kaum.) Therapie allerdings bedeutet „Schwäche“, und bekanntlich muss „das Schwache“ ja ausgemerzt werden. Zugleich droht Verlust der Geborgenheit im Rudel der Gleichgesinnten und damit die Wiederholung früher kindlicher Verlassenheitsgefühle. Was also bleibt? Eine Strategie, die allen Rechten wie auch allen anderen Fanatikern zu eigen ist: Ich fühle mich innerlich so schwach und unterlegen, dass mir nur noch die Selbstüberhöhung als „Wissender“ heraushilft. Geifern als Rettungsanker? Yes, indeed. Nun bin ICH groß, und die anderen sind klein, dumm, verblendet. Die Medien mutieren zur „Lüü-gään-prää-ssää!“, die Parlamentarier zu Verrätern an der „deutschen Sache“. Doch wenigstens einmal im Leben genieße ich das Gefühl, „jemand“ zu sein. Wie sagte Stalin: „Weniger, aber bessere Russen!“ Die Besseren sind doch wir Braunen, oder??? Warum also nicht auch bei uns? Obwohl die Geschichte den Denkenden ja zeigt, welches Rudelbeißen sofort einsetzt, wenn die Selbstwertinvaliden sich über ihre Macht zu stabilisieren versuchen. Bei Hitler war es (nicht nur) der „Röhm-Putsch“, und bei der AfD kann man genüsslich zusehen, wie unerledigte kindliche Konflikte den Hass auf die eigenen Parteigenossen steuern. Jede Kritik wird zur Bedrohung des instabilen Ichs, Zerfall und Untergang sind angesagt, auch wenn wir genau das vermeiden wollten, gell?

In 2005 schrieb mir eine rechtsradikale Truppe, die mich schon seit einiger Zeit anging, ich würde „nach der Wiederherstellung des Reiches vom Baume hangen“. Sowas wirkt, und ich beobachtete mich bei meinen Hunde-Spaziergängen, wie ich unentwegt nach Fluchtwegen peilte. Als mir das zu viel wurde, schaltete ich den Staatsschutz ein und hatte in kürzester Zeit meinen Waffenschein. Jahrelang schlief ich mit durchgeladener und entsicherter Beretta auf dem Nachttisch. – Eine prägende Erfahrung. Aber: Ich rief auch den Obernazi an und sagte ihm, er solle sich schon mal auf einen warmen Empfang vorbereiten. Am Ende geschah nichts, und mit der Zeit wurden auch die zu Hunderten gestreuten Internet-Diffamierungen weniger.

Was ich sagen will: Nur Festigkeit hilft. Geschwurbel, wie wir es viel zu lange erlebt haben, macht mitschuldig.

Die Familie Lübcke allerdings bleibt alleine in Schmerz und Verlorenheit. Da hat ein Brauner auf sie genau das übertragen, was in ihm selbst bis zur Unerträglichkeit wütet. Ein Verbrecher, der sich einen Moment vermeintlicher Größer verschaffte.
Möge er nie wieder herauskommen!


Eine Idee zu “Ein paar Gedanken zum Mord an Dr. Lübcke.

  1. Helene Wutz-Weiler sagt:

    Gratulation zu diesem leidenschaftlichen Text! Ich kann jedes Wort und jeden Gedanken nur unterstreichen, bin aber nicht so wortgewaltig wie Sie , lieber Herr Späth. Vielen Dank, er wird mir zur Argumentationshilfe, wenn wieder einer der Alt- oder „Neu“vorderen in seine Opferrolle verfällt.

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