Über Frauensolidarität.

Es war halt so, dass Irmi nicht mehr weiterwusste, weil der Kollege, mit dem sie das Büro teilte, sie nicht in Ruhe ließ. Anfangs waren es lose Sprüche gewesen, dann die eher beiläufigen Berührungen und schließlich eine dreist knetende Hand auf ihrer Brust. Die Attacken wiederholten sich, und dies in immer kürzeren Abständen, und die Hände versuchten an Stellen zu gelangen, wo sie überhaupt nichts zu suchen hatten. Übel genug das alles, und dass der besagte Herr verheiratet und Familienvater war, machte es nicht besser. – Und, wie das in Behörden halt oft so läuft, er und sein Vorgesetzter waren enge Kumpels und Sportskameraden im Verein. Überkorrekt und verklemmt im Job, dazu ausgestattet mit einer seltsamen Überheblichkeit Frauen gegenüber, mit der sie die eigene Erbärmlichkeit zu kompensieren suchten. – Irmi jedenfalls war ziemlich verzweifelt. Es herrschte eine Kultur des „Über sowas spricht man nicht!“ auf den Etagen, und da sie eine sehr Hübsche und Herzliche war, hatte sie auch aus Kolleginnenkreisen einiges an Gemeinheiten wegzustecken.

Nun ist es an sich nicht Aufgabe eines Coaches, konkrete Empfehlungen zu geben und damit aktiv in die Entscheidungsfindung seines/r Klienten*in einzugreifen. Wichtiger ist, jemandem zurück zu verhelfen zur eigenen Entscheidungsfähigkeit. Nur, manchmal muss man Regeln auch brechen können, und nachdem ich der ziemlich verzweifelten Irmi eine Packung Tempos gereicht hatte, wischte sie sich die Wangen ab, schnäuzte sich, und dann wurde sie endlich kampflustig. Das Widerliche ist ja oft genug, dass es gerade die Zarten und Freundlichen sind, die bei sowas unter die Räder kommen.

Ich riet ihr, sich ein-zwei Kolleginnen zu suchen, mit denen sie offen reden konnte, denn ich war sicher, es handelte sich hier nicht um Einzelfälle. Sobald sie begannen sich auszutauschen, konnten sie eine Front bilden und die Übeltäter einkreisen. So geschah es dann auch, denn es fanden sich nach anfänglichem Herumdrucksen reihenweise Kolleginnen, die die beiden Herren sich sozusagen untereinander aufgeteilt hatten, während sie sich gegenseitig deckten. Und als ich im Einvernehmen mit der Klientin noch einen mir bekannten Staatssekretär diskret auf die Vorfälle hinwies, schlug der Blitz in den Laden ein, dass es nur so rauchte. – Aber erst die geschlossene Frauenfront hatte etwas bewirkt.

Mitte meiner Dreißiger hatte ich einmal in einer Talkshow, an der wir beide teilnahmen, einen prominenten Orchesterdirigenten und seine Frau kennengelernt, und sie hatten mich zu sich nach Hause eingeladen. Eine Woche später besuchte ich sie in Begleitung einer schönen jungen Schauspielerin, mit der ich das erste Mal ausging. Ich staunte nicht schlecht, als er mich an der Haustür begrüßte: „Jaaa, des freut mich aber, dass du mir (!) die Edda mitbringst. Die hätt mir ja eh schon immer g´schmeckt!“ Seine Frau stand ausdruckslos daneben. Kaum dass wir uns gesetzt hatten, lud er Edda unter meinen Augen und denen seiner Frau ein, mit ihm eine Woche an den Gardasee zu fahren. Ich staunte nicht schlecht, als sie zusagte, und er nickte herablassend zu mir: „Weil, ER hat ja auch noch keine älteren Rechte..!“ Kurz darauf fuhren die beiden tatsächlich zusammen weg, und seine Frau, eine patente und warmherzige Schönheit, schüttete mir in stundenlangen Gesprächen ihr Herz aus. Ich vergaß den Typ, wenngleich mir immer wieder einmal zugetragen wurde, wie verächtlich und ausbeuterisch er mit Frauen umging. Seine Frau verließ ihn endlich, als gleich mehrere Damen gleichzeitig von ihm schwanger waren.

 

Erst über dreißig Jahre später kochte die ganze Brühe hoch, als sich eine Reihe von Sängerinnen, Musikerinnen und anderen Bühnenkräften zusammenschlossen und einander berichteten, in welchem Ausmaß er offensichtlich übergriffig geworden war. Sie besiegten ihre Existenzängste, bildeten ein Netzwerk und gingen an die Öffentlichkeit. Eitel, wie er war, versuchte er sie zu diffamieren, redete sich innerhalb kürzester Zeit um Kopf und Kragen und war dann erledigt. – Nicht umsonst schreibt Otto Kernberg von den „verheerenden Auswirkungen des pathologischen Narzissmus im letzten Lebensdrittel“. – Es fing alles mit einer einzelnen mutigen Sängerin an, die sich wehrte.

Frauen also, die patriarchatsbedingt über eine ungeheure Leidensfähigkeit verfügen, können in Wirklichkeit alles bewegen, wenn sie sich erst einmal aus der duldenden Passivität gelöst haben. Und ich wage die Behauptung, dass Männer dann kaum noch über Abwehrstrategien verfügen. Ein besonders schräges Beispiel beobachtete ich einmal als Student, als ich nach einer Bandprobe mit Johnny und Manni noch in einer Pasinger Wirtschaft einkehrte. Schon nach kurzer Zeit fiel mir an einem Tisch ein recht machohafter Typ auf, der die junge Frau an seiner Seite nach besten Kräften angrub. Er wirkte eher ungehobelt, verfügte aber über eine Art kantiger proletenhafter Männlichkeit, eine Art von Bonsai-Django, und nach einiger Zeit küssten die Beiden sich. Auf einmal – ich staunte nicht schlecht – stürzte eine aufgebrachte Endzwanzigerin herein, prügelte sofort auf die Frau ein, schmiss sie vom Stuhl und stürzte sich auf sie. Django riss erst weit die Augen auf, legte dann den rechten Arm von hinten um den Hals der Angreiferin, riss sie grob auf die Füße und schlug ihr mit der Linken ins Gesicht. Jede Unterhaltung war verstummt.

„A Ruh´ is!“, klang es sehr gefährlich. Die Angreiferin ließ fassungslos die Arme fallen. „Und jetzt schleich dich!“
Sie tat drei fahrige Schritte Richtung Ausgang, schnellte plötzlich zurück und schrie die Begleiterin des Mannes mit tränenerstickter Stimme an: „Du bist die größte Hur´ von München! Den Mann magst mir net lassen, wo i zwei kleine Kinder daheim hab!“

Schrie´s, schlug die Hände vors Gesicht und rannte schluchzend hinaus. Im Gesicht der anderen gingen wahre Sturzbäche zu Boden. Die Unterhaltung setzte wieder ein, aber an ihrem Gesicht und an der Art, wie sie nun auf little Django einredete, war leicht zu erkennen, dass sie von all dem nichts gewusst hatte. Django wiederum wand sich und versuchte sie mit banalisierenden Gesten zu beschwichtigen, in der realitätsfernen Hoffnung, sie heute Abend doch noch herumzukriegen. Ich hatte keine Zigaretten mehr und holte mir eine Schachtel aus dem Auto. Draußen, auf dem Betonsockel, der sich an der Wirtshausfront entlang zog, ganz hinten in der Ecke, saß zusammengesunken die junge Mutter und weinte so bitterlich, dass es mich anrührte. Sie blickte auf und auf einmal hatten wir Blickkontakt. Ich versuchte ihr ermutigend zuzunicken, aber was kann das schon bewirken in so einer Situation.

Drinnen angekommen, lieh ich mir Johnnys Feuerzeug, um meine Zigarette anzuzünden, und unbeabsichtigt traf mein Blick den der jungen Frau, die ihren verheirateten Galan inzwischen beidseitig gründlich gegrillt hatte und, nach Antworten für sich selber suchend, in den Raum blickte. Für einen Wimpernschlag blickte sie mich fragend an. Ich zog die Brauen hoch und deutete mit einer vorsichtigen Kopfbewegung an, dass da draußen jemand saß. Django war gerade in seine Schweinswürstl vertieft. Jähes Mitgefühl schoss über das Gesicht der jungen Frau, dann schnellte sie empor und war so schnell draußen, dass keiner von uns es mehr richtig mitbekam. Der untreue Lackel saß da mit einer Wurst auf der Gabel, als sei das alles für ihn eine Nummer zu hoch geworden.

Nach einigen Minuten packte mich die Neugier, scheinbar beiläufig ging ich zur offenen Eingangstür. Ganz hinten im Eck, auf dem Betonsockel, saßen zwei junge Frauen in einem intensiven Gespräch. Ihrer Körpersprache war leicht zu entnehmen, dass sie gerade ganz, ganz viel erfuhren, was sie bisher nicht gewusst hatten. Schon im Normalfall ist es für eine Frau eine Unmöglichkeit, etwas nicht gewusst zu haben. Im konkreten Fall allerdings wurden die Sturzbäche der Erkenntnis immer reißender. Plötzlich schnellte der Kopf der betrogenen Ehefrau an die Brust der Rivalin, und ihr ganzer Körper wurde von bitterstem Weinen geschüttelt. Die Rivalin wiederum war voller Zärtlichkeit, streichelte die Unglückliche liebevoll, küsste sie wiederholt aufs Haar, hob schließlich mit beiden Händen das Gesicht der Verzweifelten zu sich und redete liebevoll auf sie ein, bevor sie sie auf beide Augen küsste. Im Gesicht der betrogenen Mutter zeigte sich ungläubige Dankbarkeit.
Au weh, Sepp, dachte ich mir, das sieht aber überhaupt nicht gut aus für dich…

Ich war kaum wieder bei Johnny und Manni, als plötzlich beide Frauen Hand in Hand und äußerst festen Schrittes in die Wirtschaft traten, es hatte etwas von einem Festnahmekommando an sich. Der untreue Partner fuhr ungläubig hoch. Dann bauten sie sich zu beiden Seiten von ihm auf und ließen offenbar gut abgestimmte Statements verlautbaren, die ihn verlegen zusammensinken ließen. Anschließend folgte eine Art Kreuzverhör, aus beiden Richtungen wechselnd abgefeuert, das ihn – er wirkte wirklich nicht sonderlich hell – schnell zu überfordern schien. Seiner Miene und Gestik nach gab er ein paar recht patzige Antworten, und das hätte er besser nicht getan. Denn die beiden Frauen blickten sich an und ihre Blicke rasteten ein, man hörte es förmlich klicken. Dann packten sie ihn gleichzeitig „beim G´nack“, wie man bei uns zu sagen pflegt, und zerrten ihn unter dem Gejohle der anderen Gäste wie einen störrischen Hund aus der Wirtschaft hinaus. Er ließ es ohne Widerstand geschehen, erkennbar wusste er überhaupt nicht mehr, wie ihm geschah.
Wenn die Unterhaltung manchmal leiser wurde, drangen von draußen laute Frauenstimmen herein, mit denen nicht zu spaßen war.

Manni, Johnny und ich hatten ebenfalls unsere Schweinswürstl vertilgt und ausgetrunken. Als wir zum Auto gingen, sahen wir auf dem Gehweg ein paar frische Blutstropfen. Zwei angetrunkene Mannsbilder deuteten darauf und feixten.
„Da hat einer Fotzen ´kriegt, sowas hab i überhaupts no net g´sehen!“, lallte der eine.
Ich spürte so etwas wie Genugtuung.

Frauen, die sich gemeinsam einer gerechten Sache verschreiben, sind durch absolut nichts aufzuhalten und sind selbst mitten im Krieg zu großer Zärtlichkeit imstande. Dafür muss man sie lieben. Aber manchmal auch ruhig a bissl fürchten.

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