Massoud war ein junger Omani und ein Sonnenschein von einem Hotelbediensteten. Er mochte um die zwanzig sein, und wenn ich die Poolterrasse des Abu Dhabi Sheraton betrat, dann blitzten die dunklen Augen in seinem von der Wüstensonne schwarz gebrannten Gesicht, und sein breites, herzliches Lächeln ließ zwei strahlend weiße Zahnreihen erkennen. Sobald er mich erblickte, stürzte er auf mich zu, eine Sonnenliege unterm Arm, und richtete sie für mich her. Blitzschnell baute er mir dazu einen großen Sonnenschirm auf. Über den Dinar, den ich ihm dafür schenkte, freute er sich jedes Mal wie ein Kind. – Man konnte sehen, dass sein Interesse an Europäern echt war, und die angeborene warme Herzlichkeit der Araber mischte sich mit seinem Ehrgeiz, einen möglichst guten Job zu tun, zu einem hervorragenden Service. Entgegen der bei uns weit verbreiteten Klischees: Araber sind sehr freundliche Menschen und ausgesprochen „caring“.
Ich genoss die ein-zwei Stunden am Pool, denn mein Tagesprogramm in Abu Dhabi war eng gepackt. Abdulrahman, mein geschäftlicher Berater, hatte mir die Türen zu verschiedenen Kabinettsmitgliedern und anderen arabischen Granden geöffnet, und mit einem von seinem eigenen Sohn gestürzten arabischen Herrscher, der seither zornkochend in Abu Dhabi sein Exil aufgeschlagen hatte, war ich ebenfalls in vielversprechenden Gesprächen. Schon zweimal hatte ich nachts durchgearbeitet, um Konzepte und Kalkulationen auszuarbeiten. Zum Ausgleich legte ich mich dann an den Pool, oder ich ließ mich von Ben, einem chinesischen Masseur, zwei Stunden durchwalken, bis ich schnurrte wie eine junge Katze.
Bisweilen auch ließ ich mir von einer der quietschvergnügten jungen Philippinas im Untergeschoss des Hotels eine Maniküre verpassen. Es waren Mädchen, für die der Job in den Emiraten das große Los im Leben war, denn zu Hause hätten sie, falls überhaupt, nur ein Zehntel ihres Gehalts verdient. Die Unterhaltung mit diesen bemerkenswert hübschen Damen machte mindestens genauso viel Spaß wie die Nagelpflege selbst, und hinterher ging ich wesentlich entspannter in den nächsten Termin als zuvor. So erhob ich mich nach einer guten Stunde Sonnenbad und begab mich ins Untergeschoss.
Darauf vorbereitet, wie stets recht herzlich begrüßt zu werden, schrak ich ein wenig zusammen angesichts der Bulldogge, die mich mit unfreundlichem Knurren in Empfang nahm und mich auf den Stuhl kommandierte. Sie sandte mir ein paar Blicke, die mir bedeuteten den Schnabel zu halten und mich ihren gebellten Kommandos zu fügen, anderenfalls ich mit meiner Enthauptung zu rechnen hatte. Ein paar Versuche mit ihr ins Gespräch zu kommen, scheiterten an einem hingeworfenen „No!“ oder „Yesss!“ – Die Dame war Philippina, Ende vierzig, und sie zeigte sehr verhärmte Gesichtszüge.
So ging meine Nagelpflege, anders als sonst, völlig wortlos vonstatten, und ich war froh, als meine Wohltäterin zum Ende kam.
„You want tarnish?“ bellte sie schließlich mit einem drohenden Unterton.
„Öhmmm… tarn…???“ Ich kannte den Ausdruck nicht.
„Yesss! Tarnish!“ Ihre Kiefer schnellten auf und zu wie die einer Schnappschildkröte. Mir war noch unbehaglicher als zuvor.
„Aaaahhh… what… exactly…“ stotterte ich ratlos, doch schon ergriff sie meine rechte Hand und begann, mir einen zartrosafarbenen Nagellack aufzutragen. Sehr zartrosafarben. – Ich saß und beobachtete sie mit offenem Mund.
Vermutlich war ich in eine Art Angststarre verfallen – phylogenetisch betrachtet ein Totstellreflex -, denn ich wehrte mich nicht, als sie meine Linke ergriff und sie mir ebenfalls lackierte. Ich schaute nur zu. Schließlich sandte sie mir einen Blick voller Verachtung und verschraubte ihr Nagellackfläschchen. Ich saß und starrte auf meine Fingernägel.
Mürrisch erhob sie sich von ihrem Stuhl und schnürte mir feindselig den Friseurumhang ab, den sie mir verpasst hatte. Ich saß und starrte auf meine Fingernägel. Dann bedeutete sie mir mit einer Kopfbewegung, gefälligst meinen A… aus dem Stuhl zu heben. Ich saß und starrte auf meine Fingernägel.
„Öhmmm… – – – ähmmm….“, quetschte ich zwischen den Zähnen hervor.
„Whattt?“, schnappte die Schnappschildkröte.
„Excuse me….“
„Whattt?“
„Excuse me…. do… many men … in Abu Dhabi… have this…???“
„NO! ONLY YOU!“
„Ah.“
Mein Mund blieb offen. Schnappschildkrötenartig.
Dann stellte ich mir vor, wie Abdallah dreinschauen würde, mein finanzstarker Partner, dem neben einer Bank, einer Versicherung und ein paar Bürotürmen in Abu Dhabi noch jede Menge europäischer Industriebeteiligungen gehörten. Und wie seine sehr zurückhaltende pakistanische Vorzimmerdame mich beäugen würde. Und vermutlich alle, die auf dieser Etage arbeiteten: Emiratis, Palästinenser, Jordanier, Algerier, Iraker, Pakistanis, Inder, Bengalis, Afghanis, Iraner. Mittendrin ein vereinzelter Bayer, der sie alle um mindestens einen Kopf überragte. Im dunkelblauen Valentino-Anzug mit Seidenkrawatte aus Hongkong. In italienischen Stiefeletten aus Rom. Und mit zartrosa lackierten Fingernägeln.
Ähnliche Reaktionen würde ich wohl erwarten können, wenn ich heute Abend zur Madjlis im Palast von Sheikh Nahyan Bin Mubarak ging, dem Minister für Höhere Erziehung, bei dem sich jeden Abend drei Dutzend arabischer Geschäftsleute zu Kaffee und Plausch trafen. Der Sheikh, ein feiner und hochgebildeter Mann, würde mich freundlich begrüßen. Aber irgendeiner der anwesenden Ägypter oder Libyer würde mich freundlich fragen, zu welchem Zweck Bayern im Valentino-Anzug sich die Fingernägel lackierten.
Tief in angstvollen Gedanken versunken, wie ich in den lokalen Abendnachrichten zum Aufmacher werden würde und wie man mich am nächsten Abend in allen Emiraten kennen würde, bis hinüber ins ferne Umm al Quain, befiel mich ein Gefühl tiefer Verzweiflung, als ich ein feindseliges Zischen vernahm und spürte, wie eine Hand herrisch die meine ergriff. Dann füllte sich die Luft mit dem Geruch von Aceton, und drei Minuten später sah ich wieder so aus, wie ich mich bisher immer zu kennen geglaubt hatte. Ich bezahlte und schoss hinaus in die Pool Area.
„Oh, you make manicure?“ schoss Massoud strahlend auf mich zu.
„Oh yeah!“, stöhnte ich.
„What happen, Sir, what happen? Why you look so stress?“
In Momenten tiefsten Schmerzes braucht die menschliche Seele ein menschliches Ohr. Ich gab mir einen Ruck und berichtete.
„Ah, you with Nana! “, strahlte er. „I know she hate all German. We all know!”
“Does she?”
“Bad man German very disappoint. She very disappoint.”
Einer der zahlreichen deutschen Industrievertreter, die hier herumliefen, hatte vor Jahren eine Affäre mit ihr begonnen. Um sie herumzukriegen, hatte er ihr offenbar weisgemacht, sie sei die Frau seines Lebens und er würde sie mit sich nehmen nach Deutschland. Sie hatte drei Kinder aus ihrer gescheiterten Ehe auf Palawan zurückgelassen, als sie nach Abu Dhabi ging, und er hatte ihr versprochen, sie könne sie dann nach Deutschland holen. Über ein Jahr hatte der Typ sie so benutzt, dann war er nach Deutschland zurückgekehrt ohne sie zu informieren. Die Telefonnummer, die er ihr schon früher gegeben hatte, existierte nicht. Nana war buchstäblich daran zerbrochen, und seither hasste sie alles Deutsche.
„You know“, sagte Massoud leise. „Hotel staff like big family. Know everything.”
“I see”, sinnierte ich.
“You tall, elegant, black hair with grey and beard like him. Understand?”
“Hell”, sagte ich. “I´m sorry.”
Hanns Peter Euler und Hans Linde haben 1968 in Karlsruhe die Theorie der Konfliktumleitung entwickelt. Sie besagt, dass Menschen nicht immer unmittelbar gegen den eigentlichen Konfliktanlass bzw. dessen Verursacher vorgehen. Unter bestimmten Voraussetzungen kommt es zu einer Konfliktverschiebung. Der Konfliktaustrag richtet sich dann gegen andere Inhalte oder Personen, die mit dem ursprünglichen Konfliktanlass nichts zu tun haben. Wird bei unverändertem Konfliktinhalt nur der Adressat der Aggression gewechselt, so spricht man von einer Konfliktumleitung durch Adressatverschiebung. In den Etagen der deutschen Wirtschaft ein täglich zu beobachtendes Phänomen.
So unwirklich das Ganze war, nun verstand ich Nanas Hass. Ich kaufte im Hotelshop eine Rose und brachte sie ihr vorbei. Sie nahm sie völlig verdattert entgegen.
„Why?“ bellte sie schließlich.
„You know and I know.“, sagte ich und tätschelte ihr kurz die Hand.
„You know and you not hate me?“
„Try to smile again. Somehow.“, sagte ich.
Dann rief ich mir ein Taxi und fuhr zum Palast des Sheikhs. Er stand mit seinem Vater am Rondell vor dem Eingang und begrüßte jeden von uns mit jener lächelnden Lässigkeit, die die Araber so einzigartig macht.
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