Etwas mit Hypnose.

„Ist nicht ihr Ernst, oder?“
„Doch“, sagt der Leiter eines Nachhilfeinstituts am Telefon.
„Soll ich die jetzt Englischvokabeln abfragen?“
„Wie Sie das machen, ist mir wurscht.“
„Ihr habt schon Nerven, Freunde!“
„Es geht um alles für die. Kriegen Sie die irgendwie hin! Wir schaffen´s nicht.“
„Ich hab Wochenende.“
„Jetzt nicht mehr!“
Den Trip auf die Gindel-Alm kann ich mir abschminken.

Die Dame ist einundzwanzig, BWL-Studentin aus Augsburg und erkennbar am Boden. Denn sie muss im Rahmen ihres Studiums eine Englisch-Prüfung absolvieren. Nur, leider, hat sie die schon zweimal in den Sand gesetzt, trotz intensiven Beistands der Nachhilfler. Und wenn sie´s zum dritten Mal verfehlt, ist ihr Studienplatz verloren. Es wird also eng, – auch zeitlich, denn wir haben noch knapp zwei Wochen. Man merkt an den bleichen, verspannten Gesichtszügen, den eckigen Bewegungen, den stets leicht zitternden Fingern: Panik, mit letzter Kraft beherrscht.

Die probeweise Übersetzung geht schleppend, doch müsste ihre Arbeitsweise eigentlich ein „noch ausreichend“ rechtfertigen. Auffallend ist allerdings, dass die Klientin sehr verschlossen wirkt. Man kommt mit nichts an sie heran, kein Lächeln, kein Kontakt; Informationen gibt sie nur, wenn man sie ihr aus der Nase zieht. Insgesamt wirkt sie areaktiv, auch nach einer Stunde noch.

Natürlich kann ein solches Verhalten vielfältig gedeutet werden. Von der körperlichen Erkrankung mit resultierender Apathie bis zur psychiatrischen Erkrankung wäre erst einmal alles denkbar. Dann hat der Coach an den Facharzt zu verweisen. Allerdings bekommt die Klientin ihren Alltag normal geregelt, betreibt Sport und war vor kurzem in ärztlicher Behandlung wegen leichter Herzrhythmusstörungen, zu denen eine umfangreiche Diagnostik durchgeführt und eine Herzerkrankung ausgeschlossen wurde. Die eigenartig starre Verhaltensweise und die Arhythmien geben somit Anlass zu der Vermutung, dass etwas ganz anderes als kausal gewertet werden darf: schlichte Angststarre. Die nach außen hin ruhige Klientin weiß um die Schicksalhaftigkeit ihrer „letzten“ Prüfung. Und sie weiß nicht mehr weiter.

Gezielte Fragen schaffen letzte Klarheit: Plötzlich beginnt sie von sich aus zu reden und beschreibt tonlos einen Zustand, der Vielen von uns nicht unbekannt sein dürfte. Sie schildert, wie ihr beim Austeilen der Prüfungsbögen „eine schwarze Kappe übers Gesicht fällt“. Dinge, die gut eingelernt wurden und ebenso gut abrufbar waren, sind plötzlich nicht mehr da. Das Gehirn wirkt wie abgeschaltet, nichts mehr funktioniert. Sie sitzt, erstarrt in einem Grübeln fast ohne Denkinhalte, während eine dunkle Wand sich zwischen sie und das erworbene Wissen geschoben hat. Zum Prüfungsende gibt sie ein Blatt mit sinnlosem Gekritzel ab, wohl wissend, was die Note sein wird. Und wohl wissend, dass vom Ausmaß ihrer Vorbereitung her mehr Kenntnisse hätten verfügbar sein müssen.

Als die Klientin zu sprechen aufhört, wirkt sie leer. Wie jemand, der zwar ein letztes Mal mitmacht, aber eigentlich schon aufgegeben hat. Wenn sie noch etwas ausstrahlt, dann  ist es Ratlosigkeit. Freud hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Neurose sich selbst vor ihrer Entdeckung schützt. Auch bei Prüfungsphobien habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Betroffenen sich in Selbstvorwürfen verstricken bis hin zur Selbstzerfleischung. Nur an das Vorliegen einer Prüfungsphobie denken sie nicht.

Schwierige Situation. Der normale Weg wäre, eine Therapie zu empfehlen, am besten bei einem ärztlich ausgebildeten Analytiker oder einem Klinischen Psychologen. Und dann in einem langen Prozess geduldig die Ursachen der Phobie aufzudecken. Nur allzu oft liegen ihr massiv angsterzeugende frühkindliche Erlebnisse zugrunde. Da die Angstüberflutung von der noch sehr fragilen Kinderseele nicht verarbeitet werden kann, wird sie oft als Trauma im Unbewussten abgekapselt. Dort wirkt sie nicht nur weiter und verfärbt die gesamte Persönlichkeit des Betroffenen zum Angstgesteuerten hin. Häufig richtet sie sich – vereinfacht gesagt – im Rahmen eines sogenannten „Objektwechsels“ auf ein neues, an sich eher harmloses Objekt, beispielsweise Spinnen, beliebige andere Tiere, Türme, Brücken, Plätze, Tunnel, Aufzüge, was auch immer. Oder eben auf Prüfungssituationen, Bewerbungsgespräche und dergleichen. Die Konfrontation mit dem Angstauslöser reicht, um Angststarre zu bewirken, die in schweren Fällen bis zur völligen Handlungsunfähigkeit führen kann. – Nur ist es so, dass meine Therapieempfehlung brüsk abgeblockt wird. Die Zeit würde ohnehin nicht reichen. Jetzt mach was.

Tatsächlich hat sich für solche Konstellationen Hypnose als wirkungsvoll erwiesen. Oft diskreditiert durch Bühnen-Hypnosen, in denen Menschen auf abstoßende Art zur Schau gestellt werden, ist die Hypnose als Therapieverfahren eine erstaunlich mächtige Methode, die von den Betroffenen noch dazu als äußerst angenehm empfunden wird. Allerdings erfordert sie sorgfältigste Vorbereitung. Milton H. Erickson, der Vater der modernen Hypnotherapie, feilte oft Tage lang an seinen Induktionen und Suggestionen für einen einzigen Hypnotisanden. Als Lohn seiner Arbeit lag seine Erfolgsquote über neunzig Prozent.

„Wir könnten etwas mit Hypnose versuchen.“
„Ich glaub, bei mir funktioniert sowas nicht.“, kommt die erwartete Standardantwort, die darauf hinweist, dass es gut funktionieren wird. Nach einem intensiven Vorbereitungsgespräch geht die Klientin beim nächsten Termin problemlos in eine Trance, die ich behutsam überführe in eine Tiefentrance. Es würde den Rahmen sprengen, hier nun alle Einzelheiten darzustellen, doch sei darauf hingewiesen, dass der Hypnotiseur jederzeit genau wissen muss, was er macht. Mit einem Verfahren, das ich mir selbst entwickelt habe, versuche ich, das Aufkommen der lähmenden Prüfungsangst zu unterlaufen und sie durch positive Empfindungen zu ersetzen. Die Klientin kehrt zurück und ist wach, erholt und entspannt. Sie beschreibt die Tranceerfahrung als „sehr, sehr  angenehm.“ Das ändert sich auch nicht in den folgenden Sitzungen. Sie schafft die Prüfung mit „befriedigend“. Das holt mich echt vom Stuhl.

Nun ist das, nüchtern betrachtet, noch kein Beweis. Prüfungsvorbereitung, Prüfungsaufgabe oder Tagesform können genauso entscheidend gewesen sein. So begnüge ich mich damit, mich über das Ergebnis zu freuen. Ein gutes Jahr später allerdings begegne ich der Klientin auf dem S-Bahnsteig am Münchener Marienplatz. Sie erkennt mich zuerst und schießt auf mich zu. „Hey“, sage ich und ergreife die entgegengestreckte Hand, „wie geht´s Ihnen?“ – „Prima!“ strahlt sie und hetzt weiter zur S4. „Ich weiß nicht, was Sie mit mir gemacht haben, aber ich geh´ in jede Prüfung total entspannt!“ Wusch, verschwindet sie im Waggon. Ja no, denk ich, ja no….

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