Coach und Kumpel.

„Ich sag gleich du zu dir, Bernd, okay?“ sagt der neue Klient, kaum dass er sich gesetzt hat.
Er wartet die Antwort gar nicht erst ab und beginnt Dinge zu erzählen, die sehr persönlich wirken und dennoch seltsam nichtssagend, bis er mit einem herausfordernden Blick endet: „Und was sagst DU dazu, als Coach?“

Verwirrung dann, bisweilen auch eingeschnappte Reaktion, wenn der Coach darauf hinweist, dass man während der Gespräche das förmlichere „Sie“ einhalten wird. Die Varianten des Protests sind reichhaltig: „Na, du bist vielleicht komisch, äh, Sie, mein ich…“ über ein vorwurfsvolles „Ich dachte, ich soll mich hier wohlfühlen!“ bis zum kleinlauten „Entschuldigung, ich hab´s nicht so gemeint.“

Da ALLES, was der Klient erzählt und tut, wertvolle Information ist, zieht der Coach seine ersten analytischen Schlüsse. Distanzlosigkeit nämlich ist eine Aussage ganz für sich. Sie bedeutet: Ich fühle mich dir nicht gewachsen, und ich kann dich nur ertragen, wenn ich dich überwältige. Wenn ich dich ganz nahe an mich heranziehe, kannst du dich nicht bewegen. – Nur, ein Coach, der sich so überrollen lässt, der ist auch schon verloren.

Hier kommen regelmäßig diejenigen, die meinen, man würde ja wohl das Gras wachsen hören, – als sei nicht gerade das eine besondere Gabe. Das Gras nämlich wächst tatsächlich, es wird sogar recht hoch.

Es hat ja auch eine Aufgabe: Es soll einen für Blicke undurchdringlichen Vorhang bilden. Mache ich den Coach zu meinem Kumpel, dann ist er meine Partei, von der ich Zustimmung und „Unterstützung“ erwarten kann, in meinem Kampf gegen Chef, Ehepartner, Familie, oder wen oder was auch immer. Denn die sind im Unrecht, und ich bin Gott sei Dank im Recht. So wird sichtbar, dass das scheinbar so starke Gebaren des Klienten am Ende angstinduziert ist: Der Coach, das unbekannte und unvorhersagbare Wesen, es muss irgendwie in den Griff genommen werden, bevor es anfängt, mich „bloßzustellen“. – Diese Angst ist nun mal die unvermeidliche Kehrseite eines jeden Öffnungsprozesses, das Unbewusste verteidigt seine Gewohnheiten, und seien sie noch so schädlich. Jeder trägt dieses Gefühl mit sich, der den Mut besitzt, seine innersten Probleme einem bis dahin Unbekannten vorzutragen.

So darf man diese Strategie der anfänglichen Überwältigung getrost einreihen in die Riege der Abwehrstrategien des Unbewussten. Hoholz/Hochapfel haben hierzu Interessantes geschrieben in ihrem klassischen Lehrbuch über Psychosomatik. Auch Fausts Lehrbuch der Psychiatrie bietet interessante Einsichten.

Doch der Coach ist eben Coach und nicht Kumpel. Er hat das zu wahren, was man in der Psychoanalyse als „therapeutische Reserve“ bezeichnet: eine wohlwollende Distanz, die es ihm ermöglicht, das verbale und nicht zuletzt auch das nonverbale Verhalten seines Klienten zu analysieren und zu erkennen. Das schließt Freundlichkeit bestimmt nicht aus, nur muss es halt eine Freundlichkeit auf Abstand bleiben. Denn, wie ein Coach weiß: Den Coach in den Griff zu kriegen und ihn für die Bestätigung der eigenen Weltsicht nutzbar zu machen, ist quasi der Nationalsport der Coachingklienten. – Es ist die sicherste Methode, einen Erfolg zu verhindern.

„Bewährte“ und dem erfahrenen Coach nicht seltene Strategien sind:

1. Siehe oben: Du bist mein Kumpel, den Rest regele ich schon.

2. Herzliches An-die-Wand-Reden: Der überaus freundliche Klient red
et neunzig Minuten durch, (wenn man ihn lässt) und stellt am Ende unzufrieden fest, er vermisse „die Ergebnisse“.

3. Der zusammengesunkene Klient präsentiert sich als hilfsbedürftig. Das Einzige, was er braucht, ist Zuspruch. Standardentgegnung auf analytische Deutung: „Wenn Sie meinen, dass DAS mir jetzt hilft!“

4. Der machtvoll auftretende Klient macht gleich mal klar, wer hier der Chef ist. Beliebte Fragen: „Wie gehen Sie vor?“ oder „Bis wann kann ich mit Ergebnissen rechnen?“ Oder ein Geschäftsführer: „Wir brauchen einen klaren Zeitplan. Ich muss sehen können, ob Sie meine Timeline einhalten!“ Ich lächle dann freundlich.

Der Coach hat seine Menschlichkeit zu wahren, doch darf er sich nicht manipulieren lassen, trotz allen Respekts für die Findigkeit, mit der die Klienten ihn aus allen Richtungen auf die Eisdecke ziehen wollen. Spricht er diese Strategie an, um sie aufzudecken, wird erst einmal empört dementiert. („Wie bitte? Wo bin ich denn hier eigentlich?“) Dann, plötzlich, begreift der Klient, dass er etwas Wichtiges über sich selbst erfahren hat. („So hab ich das noch nie gesehen..!“) Und dass er – oft zum ersten Mal überhaupt – Zugang zu seinem Unbewussten erlangt hat. Es gibt also eine zweite Ebene hinter dem Gesagten. Rainer Sachse bezeichnet sie als „Spielebene“. Denn hinter all diesen Überwältigungsstrategien steht eine nur allzu begreifliche Unsicherheit: Kann ich mich dem anvertrauen? Was macht der mit mir? Dem trau ich, wenn überhaupt, nur ganz langsam!

Auch als Coach kann man das Vertrauen des Klienten nicht einfach einfordern, man muss es sich schon erarbeiten. Tatsächlich aber gibt es kaum einen Klienten, der die Deutung eines unbewussten Mechanismus nicht zutiefst als Bereicherung – und oft auch als erstmalig erlebte Befreiung – empfinden würde. Denn die Begegnung mit dem eigenen Unbewussten ist eine völlig neue, zutiefst faszinierende Welt. Oder, wie Richard Clarke, mein amerikanischer Hypnose-Ausbilder, der seine Technik noch bei dem legendären Milton H. Erickson erlernt hatte, mir einmal sagte: „Hypnosis ist the gateway to something enormously bigger!“

Kaum was hinzuzufügen. Der Coach soll freundlicher und zugewandter Begleiter sein auf einer Reise, die so faszinierend ist, dass sie ganze Leben nachhaltig verändert.

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