No Mercy for the King of Pop. (2005)

Was billiger Voyeurismus ist, erfahren wir derzeit, wenn wir uns die Berichterstattung über Michael Jacksons Strafprozess ansehen. Nach allem, was man über die Medien mitbekommt, sieht es nicht allzu gut aus für den einstigen King of Pop. Irgendwie schwer vorstellbar, was sich hinter diesem Nebel aus panisch schwafelnder Unschuld abzeichnet: die bizarr schwüle Atmosphäre auf Neverland, in der sich – wenn´s denn vom Gericht bestätigt wird – Dinge ereignet haben müssen, die einen hilflos lassen. Zorn, Abscheu und Kopfschütteln halten sich die Waage. – Auch über die Reaktion der Öffentlichkeit: die Einen geniessen es – nichts ist schöner als ein stürzender Star. Die anderen halten ihre Täfelchen in die Höhe und wollen kindisch hinwegjubeln, was zu Jubel keinen Anlaß gibt. – Kinder sind selten so kindisch wie Fans. Denn Fans sind hirn- und würdelos in ihrer Besessenheit, während Kinder ihre eigene, unveräußerliche Würde abstrahlen.

Die besitzt aber auch ein (derzeit noch: mutmaßlicher) Kinderschänder. Sogar der. Und wer Mimik, Körpersprache und piepsiges Gestammel des einstigen Superstars zu werten versteht; wer seine sukzessive Selbstentäußerung durch eine Serie kosmetischer Operationen nicht nur mit der Herablassung des „Normalen“ betrachtet, sondern sie als Spirale einer selbstzerstörerischen Suche zu interpretieren versteht; wer sich Gedanken darüber macht, ob Michael Jacksons Hauterkrankung nicht auch als gellender psychosomatischer Hilfeschrei gewertet werden kann; – der dürfte einen Blick bekommen für das innere Elend eines Mannes, der mit seinem gesamten Verhaltensmuster zu sagen scheint: Ich lehne zutiefst ab, was ich bin. Ich will nicht leben, wozu andere mich gemacht haben. Ich muss zerschneiden, was mich jeden Morgen im Spiegel ansieht. Denn das hasse ich zutiefst. – Hier wird Kindheitselend sichtbar. Hinter bizarren Figuren verbirgt sich niemals eine unverletzte Psyche. Und Michael Jacksons Psyche wirkt übelst zugerichtet.

Notabene: für das Verbrechen der Kinderschändung kann es kein Pardon geben. Unsere menschliche Ordnung kennt nichts Schutzwürdigeres als unsere Kinder. Aber, sollte Jackson verurteilt werden, dann wird das Versagen des Rechtssystems zum Teil des Urteilsspruchs werden. Denn es steht zu befürchten, dass im Falle einer Verurteilung nicht über den fehlenden Schutz in Jacksons zerstörter Kindheit befunden wird, die ihn nun einzuholen scheint. Sondern daß nur der große Hammer hervorgeholt wird. Mit dem kann man ihn dann vollends plattmachen. Dabei ist jetzt schon überdeutlich, dass Einsperren die unmenschlichste aller Lösungen sein kann. Auch wenn es genug Dummköpfe gibt, die danach schreien werden.

Es bleibt zu erinnern, dass der Überlegenheitsanspruch der Demokratie sich aus ihrem Grundanliegen legitimiert: Sie schützt den Menschen vor dem Menschen, indem sie das Prinzip der Humanität zum Kernsatz ihres Wirkens macht. Das unterscheidet sie von den Gaunereien der Diktaturen. Doch beweist  Demokratie sich nicht im Alltag, sondern in den Grenzfällen, die ihr schier alles abverlangen. – Michael Jackson ist längst zum exemplarischen Fall geworden, der nach der Selbstbeschränkung seiner Verfolger verlangt. Es müsste verhindert werden, dass er als Träger einer individuellen, unveräußerlichen Würde, die man ihm eine Kindheit lang vorenthalten hat, nunmehr vollends zermahlen wird. Doch stehen die Zeichen schlecht.

Wie es aussieht, ist sein Untergang nicht mehr aufzuhalten. Dabei stünde auch ihm zu allererst einmal Hilfe zu. Sie käme ohnehin reichlich spät, wie der Schaden zeigt, den der in sich selbst Verstrickte sich und anderen zugefügt hat.

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